Denkt man an die Rauchschwaden gegrillter Würste und Koteletts, die heute durch die Schrebergartenanlagenziehen, ist es schwer vorstellbar, dass die erste Kleingartensiedlung in Österreich eine vegetarische war. Doch es waren Vegetarier/innen, die erstmals um 1905 den Traum der Idylle im Grünen verwirklichten.
Die „Kolonie Heimgarten“
1904 erwarb der Österreichische Naturheilverein ein Grundstück im Deutschen Wald (heute in der Gemeinde Purkersdorf) an der Westbahnstrecke1. Die rund 15 000m² wurden parzelliert und verpachtet. Das Projekt bekam den Namen „Heimgarten“. Die meisten der 30 Pächter/innen bauten Holzhäuser auf ihr Grundstück, zu dem jeweils ein kleiner Nutzgarten gehörte. Die Parzellen waren durch Zäune voneinander getrennt. Auf einer Gemeinschaftsfläche wurde eine „Badehütte“ errichtet.
Die Pächter/innen wohnten nicht dauerhaft im „Heimgarten“. Sie hatten ihren Hauptwohnsitz in Wien, wo die Männer einer Erwerbsarbeit nachgingen. Viele Wochenenden wurden jedoch im „Gartenparadies“2 verbracht. Frauen und Kinder richteten sich dort in den Ferien für längere Zeit wohnlich ein, womit die Kleingartensiedlung auch eine Alternative zur Sommerfrische wurde. Im Mittelpunkt standen dabei „Nutzen und Bequemlichkeit“, wie eine Bewohnerin in einem Beitrag für eine Frauenzeitschrift schilderte3. Neben Erholung in der frischen Luft spielte der Anbau von eigenem Obst und Gemüse eine große Rolle. Diese Funktion war bei Schrebergärten von Beginn an zentral, nicht nur unter Vegetarier/innen.
Schrebergärten
Diese Bezeichnung Schrebergarten geht auf Daniel G.M. Schreber (1808-1861) zurück4. Der Leipziger Arzt war allerdings nicht der Initiator der Gärten. Ein Kinderspielplatz (damals eine Innovation) wurde ihm zu Ehren in den 1860er Jahren „Schrebergarten“ genannt. In den Kinderspielplatz wurden zu pädagogischen Zwecken Beete integriert, daraus entwickelten sich innerhalb weniger Jahre kleine Grünflächen zum Garteln für Kinder und Erwachsene. Besonders im urbanen Raum in Deutschland verbreiteten sich diese rasch. In Österreich dauerte es etwas länger, bis die ersten Gärten entstanden.
Vor allem in Wien fand die Idee des eigenen grünen Fleckchens zur Entspannung und Versorgung mit Gemüse großen Anklang. Hier wurde ab den 1920er Jahren der Begriff Kleingarten für jene Gärten benutzt5, die in Gemeinschaftsanlagen (eigentlich) nicht für das ganzjährige Wohnen gedacht waren, sondern zur Freizeit- und Gartengestaltung. Bis dahin bzw. seitdem parallel ist auch von Schrebergärten die Rede.
Vegetarische Siedlungen
Für die Purkersdorfer „Kolonie“ wurde als eine Inspiration die Berliner Laubenkolonie genannt6, proletarische Schrebergartenanlagen, zur Kompensation der miserablen Wohnungsverhältnisse um 1900 zuerst in Wedding gegründet7. Ein weiteres Vorbild dürfte die vegetarische Obstbaugenossenschaft Heimgarten in Bühlach in der Schweiz gewesen sein – auch wenn sich die Vegetarier/innen in Purkersdorf nicht dauerhaft ansiedelten. In der Nähe von Zürich gründeten 1893 mehrere Lebensreformer, darunter Unternehmer aus diesem Bereich, die Genossenschaft Heimgarten. Ziel war das gemeinsame Wirtschaften, besonders der Obstbau für den Eigenbedarf und Verkauf. In der unmittelbaren Nachbarschaft und organisatorisch bzw. personell verbunden befanden sich vegetarische Pensionen und ein Theosophie-Zentrum. Bereits 1905, also unmittelbar vor der Gründung des österreichischen Pendants, ging die Obstbaugenossenschaft in Konkurs. Als Grund gelten interne Meinungsverschiedenheiten, unter anderem über landwirtschaftliche Methoden.
Ein Gründungsmitglied und Funktionär der Bühlacher Genossenschaft, Julius Sponheimer, hatte einige Jahre davor in Wien von dem Projekt berichtet. Ende Jänner 1901 lud der Verein deutscher Vegetarier ins Thalysia zu einem Vortrag über „Zweck und Ziele der vegetarischen Siedlungstätigkeit“8.
Die Idee, mit Gesinnungsgenoss/innen gemeinsam nach den Vorstellungen der Lebensreform zu leben und arbeiten war um 1900 verbreitet. Tatsächlich umgesetzt wurde sie jedoch nur in wenigen Fällen. Noch weniger Projekte hatten dauerhaften Bestand. Am bekanntesten war die Obstbausiedlung Eden bei Berlin.
Die Wiener Vegetarier/innen konzentrierten sich von Beginn an darauf, einen Ort für die Freizeit zu schaffen, ein Wohnprojekt wurde im „Heimgarten“ nie angedacht.
„Heimgarten“: Das Wort ist Programm
Um 1900 hatte sich Heimgarten als eine Bezeichnung für einen Klein- oder Schrebergarten eingebürgert. Die ältere Verwendung des Wortes umfasst sowohl den kleinen Garten als auch einen Platz für eine Zusammenkunft (bzw. die Zusammenkunft selber, in manchen Regionen heute noch Hoagoart genannt)9. Peter Rosegger, Schriftsteller mit Sympathien für die Lebensreform, gab ab 1876 eine Zeitschrift mit dem Titel „Heimgarten“ heraus. Im Vorwort zur ersten Nummer erklärt er die Namenswahl und führt aus: „>Heimgarten< nennt man in verschiedenen Alpengegenden jenes Haus im Dorfe, wo man des Abends zu kleinen handlichen Arbeiten und zur Geselligkeit zusammenkommt.“10 Rosegger betont in der Folge den kommunikativen Aspekt, das Erzählen von Neuigkeiten aber auch Sagen und Geschichten im Heimgarten. Für die Schrebergärtner/innen spielten beide Facetten eine Rolle: Die Arbeit im Garten, die in ihrem Fall keine handwerkliche, sondern eine gärtnerische war, und der Austausch mit Gleichgesinnten.
Im Purkersdorfer Heimgarten
Das Leben im „Heimgarten“ gestaltete sich bewusst einfach11. Die Hütten war schlicht und gemäß den Prinzipien der Lebensreform eingerichtet. So waren „die Betten streng hygienisch“, was bedeutete, dass es statt dicker Federkissen- und Decken dünne Pölster und grobe Wolldecken („Kotzen“) gab.
Die Mahlzeiten wurden nicht aufwendig gekocht, oft gab es Rohkost.
Sowohl beim Hüttenbau als auch bei der Gartengestaltung viel selbst zu machen, wurde als wichtig betont.

Im Zentrum stand die Möglichkeit, Zeit an der frischen Luft fernab der Großstadt zu verbringen. Besonders für Kinder wurde es als wichtig erachtet, naturnah aufzuwachsen. Kritik an den gesundheitlichen Verhältnissen in den Städten war zentral in der Lebensreformbewegung. Um 1900 war diese durchaus berechtigt: Beengte und unhygienische Wohnverhältnisse, oft ohne Sanitäranlagen entsprachen nicht dem Wissensstand und den daraus folgenden Anforderungen bezüglich der Hygiene. Die Emissionen von Fabriken und Gewerbebetriebe sorgten für Verschmutzungen von Luft und Gewässern. Die Stadt Wien investierte Ende des 19. Jahrhunderts viel in die Versorgung mit sauberem Trinkwasser, in die Kanalisation und Müllentsorgung. Diese entsprachen trotzdem lange nicht modernen Standards. Probleme mit verunreinigten und gepanschten Lebensmitteln taten ihr Übrigens zur Wahrnehmung der Großstadt als ungesundem Lebensumfeld.
Zu den gesundheitlichen Prinzipien der Lebensreformer/innen muss gesagt werden, dass diese in Vielem als Vorreiter fungierten und oft zu den Ersten zählten, die Verbesserungen im Bereich der Hygiene selbst anwandten und propagierten. Auf andere Sektoren, besonders die Medizin, trifft dies jedoch nicht zu. Um 1900 Lebensreformer/in zu sein, bedeutete in den meisten Fällen, Impfungen abzulehnen. Diese haben sich als eine der wirksamsten Methoden gegen tödliche (Kinder-) Krankheiten erwiesen.
Trotz vieler Kritikpunkte am Großstadtleben traten nur wenige Lebensreformer/innen die dauerhafte „Flucht“ aufs Land an. Wirtschaftliche Überlegungen (die Erwerbsmöglichkeiten waren in der Stadt um ein Vielfaches besser) dürften dabei ebenso eine Rolle gespielt haben wie das kulturelle Angebot in der Stadt und nicht zuletzt die Möglichkeit der Aktivität in einem Verein.
Die „Kolonie Heimgarten“ erlaubte es ihren Pächter/innen, das Beste aus beiden Welten zu nutzen.
Der Aufenthalt im Freien wurde dabei oft verklärt, wie die Schwärmerei einer „Kolonistin“ über die Möglichkeit, mit Kindern viel Zeit in der Gartensiedlung zu verbringen, zeigt: „Im Schatten des Deutschen Waldes wächst ein widerstandsfähiges, bedürfnisloses, naturliebendes, junges Geschlecht heran, dessen Vorgänger von der ungesunden Lebensweise der Großstadt in den ländlichen Frieden flüchteten.“12
Im „Deutschen Wald“ – ist auch dieser Name Programm?
In diesem Zitat klingt an, dass es nicht nur um die individuelle Erbauung geht, sondern der Blick auf eine ganze zukünftige Generation gerichtet wird. Diese solle vermeintlich gesünder aufwachsen und leben als die aktuelle, die im Bericht der nicht namentlich genannten Berichterstatterin aus dem „Heimgarten“ als „degenerierende Generation“ bezeichnet wird. Der Einblick in die Lebens- und Gedankenwelt der vegetarischen Schrebergärtner/innen wird beendet mit dem Spruch und Wunsch „Das ist ja Deutschen Waldes Kraft, dass er kein Siechtum leidet, und alles, was Gebrechen schafft, aus Leib und Seele scheidet!“13.
Von den Pächter/innen der Kleingartenanlage wurde es offenbar als treffender Zufall betrachtet, dass ihre Parzellen sich in einem Areal namens „Deutscher Wald“ befanden. Der Name geht auf den Deutschen (Ritter-) Orden zurück, in dessen Besitz sich die Ländereien im Mittelalter befanden. Von den völkisch orientierten Vegetarier/innen wurde er im deutschtümelnden Sinn uminterpretiert. Welche Verbindungen sie zum Wiener Verein deutscher Vegetarier hatten, konnte bisher nicht ermittelt werden, aber eine Nähe ist wahrscheinlich.
Von einem Quellendokument sollen nicht zu weitreichende Schlussfolgerungen gezogen werden, aber das Zitat liegt nahe, dass zumindest einige Pächter/innen im „Heimgarten“ dem deutsch-völkischen Flügel der Vegetarier- und Lebensreformbewegung zuzurechnen sind. Diese verband individuelle Überlegungen und Praktiken zu einem gesunden, fleischlosen Lebensstil mit Vorstellungen zur Gegenwart und Zukunft des als „deutsch“ definierten Teils der Bevölkerung. Die oben genannten negativen Begleiterscheinungen des Städtewachstums und der Industrialisierung wurden nicht ausschließlich als Beeinträchtigung der eigenen Gesundheit gesehen, sondern als Bedrohung für die Stärke dessen, was als „deutsches Volk“ – in Abgrenzung zu den jüdischen, slawischen und anderen Bewohner/innen der Monarchie – definiert wurde. Sich als „Deutsche“ biologisch und kulturell behaupten zu können, wurde zu einer Überlebensfrage hochstilisiert. Die Lebensreformer/innen vertrauten dabei auf Mittel wie Ernährung, Bewegung, Frischluft und dergleichen – alles, wofür der „Heimgarten“ stand.
Die in dem Schlusszitat angedeutete „Ausscheidung“ alles vermeintlich oder tatsächlich Schädlichem („und alles, was Gebrechen schafft, aus Leib und Seele scheidet“) war unter Lebensreformer/innen in Zusammenhang mit Therapien wie Fasten und Schwitzkuren bei Krankheiten ein Thema. Die überwiegende Anzahl der Vegetarier/innen um 1900 vertrat jedoch nicht jene gesellschaftspolitischen Ansichten und Vernichtungsabsichten, welche die Nationalsozialist/innen wenige Jahrzehnte später in die Tat umsetzen sollten, nämlich die gewaltsame Entfernung von Menschen, die als ungesund oder schädlich für das imaginierte „deutsche Volk“ stigmatisiert wurden.
Vom vegetarischen „Heimgarten“ zur Kleingartensiedlung
Die „Kolonie Heimgarten“ war in ihren Anfangsjahren ein Refugium von Wiener Vegetarier/innen, die möglichst viele ihrer lebensreformerischen Grundsätze im Alltag umsetzen wollten. Wann aus der vegetarischen Kolonie eine gewöhnliche Kleingartenanlage wurde, ist derzeit nicht bekannt. Berichte über die vegetarischen Schrebergärten lassen sich nur aus deren Anfangszeit im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts finden. In den 1930er Jahren standen mehrere der Gartenhäuser, ohne der Bedingung dort vegetarisch zu leben, zum Verkauf14 – ob das die Auflösung der vegetarischen Siedlung bedeutete oder diese bereits davor ihre Richtlinien änderte, konnte im Rahmen meiner Recherchen für diesen Blogbeitrag nicht geklärt werden.
Quellen:
1Die Kolonie Heimgarten. In: Wiener Hausfrau, 5.8.1906: 1-2.
2Schürr, Robert: Schrebergärten für Wien. In: Neues Wiener Tagblatt, 4.1.1911: 5.
3Die Kolonie Heimgarten. In: Wiener Hausfrau, 5.8.1906: 1-2.
4Zur Geschichte der Schrebergärten vgl. Autengruber, Peter: Die Wiener Kleingärten. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien: Promedia 2018, zu Wien S. 17.
5Autengruber, Peter: Die Wiener Kleingärten. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien: Promedia 2018: 15.
6Die Kolonie Heimgarten. In: Wiener Hausfrau, 5.8.1906: 1-2, darin S. 1.
7Eintrag „Geschichte der Laubenkolonien im Bezirk Wedding“ auf Wikipedia; online unter https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Laubenkolonien_im_Bezirk_Wedding (zuletzt bearbeitet am 25.1.2025, abgerufen am 3.4.2025).
8Ankündigung. In: Ostdeutsche Rundschau, 23.1.1901: 5.
9Vgl. dazu: Eintrag „Heimgarten“. In: Grimm, Jacob: Deutsches Wörterbuch. Leipzig: Hirzel 1853-1971 (Band H: 1877); online unter https://www.digitale-sammlungen.de/de/details/bsb11352446 und „Heimgarten“ und Begriffserklärungsseite auf Wikipedia; online unter https://de.wikipedia.org/wiki/Heimgarten (erstellt am 22.10.2018, abgerufen am 19.3.2025).
10Rosegger, Peter: [Editiorial]. In: Heimgarten. Eine Monatsschrift 1/1 (Oktober 1876): 2.
11Siehe dazu: Die Kolonie Heimgarten. In: Wiener Hausfrau, 5.8.1906: 1-2 und An Ilse (Frage 371 in Nr. 30). In: Wiener Hausfrau, 7.6.1908: 12..
12Die Kolonie Heimgarten. In: Wiener Hausfrau, 5.8.1906: 1-2, darin S. 1.
13Die Kolonie Heimgarten. In: Wiener Hausfrau, 5.8.1906: 1-2, darin S. 2.
14Vgl. dazu die Inserate in: Neues Wiener Tagblatt, 30.3.1930: 65, 8.6.1930: 64, 7.9.1930: 54, 4.6.1933: 62 und 30.7.1933: 38.
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Birgit Pack (3. April 2025). Vegetarische Schrebergärten. Vegetarisch in Wien um 1900. Abgerufen am 12. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13ofl